Zwischen Kirchenliedern und Fressgelagen

Heute war die Taufe von Oscar, wozu viele, viele Verwandte kamen. Ich bin auch mit in den Gottesdienst gegangen - freiwillig - und ich muss sagen, er hat mir gefallen. Die kleine Kirche in Cotignac ist sehr schön. Sie wölbt sich über dem Altar als Halbkugel, die in der Mitte ein rundes Loch hat, durch das Licht auf das große Gemälde an der hinteren Wand fällt. Das Gebäude ist insgesamt recht klein für eine Kirche und auch sonst eher schlicht, doch darin sehr schön und architektonisch ansprechend gestaltet. Wir waren die einzigen in der Kirche - bisher wusste ich gar nicht, dass es Taufen gibt, zu denen nur die Tauffamilie und deren Gäste anwesend sind. Die Messe selbst wurde von einem Mönch in silbergrauer, sanft glänzender Kutte, braunen Sandalen und Gitarre vor der Brust abgehalten. Insgesamt wirkte alles sehr familiär und da wir immer die gleichen drei Lieder immer wieder sangen konnte ich gegen Ende sogar mitsingen. Der Klang ist wunderschön in dieser Kirche, schöner als in den Kirchen, in denen ich bisher war. Vielleicht sollte ich hier auch einmal einen richtigen Gottesdienst besuchen, um mir die schnucklige Orgel (kleinste, die ich je in einem Gotteshaus sah) noch zu hören zu bekommen... Von der Predigt habe ich auch schon erstaunlich viel verstanden, doch konnte ich dem nicht so recht zustimmen. Es ging irgendwie darum, dass man kein richtiger Christ ist, wenn man nie betet oder in die Kirche geht und das die Kirche eine Gemeinschaft ist, von der Oscar nun Teil ist und das man sich in der gegenseitig unterstützt. Also den zweiten Teil fand ich schon ganz ok, aber ich finde es immer unangebracht, wenn ein Pfarrer seiner Gemeine vorschreiben will, wie diese zu glauben hat.

Danach sind wir dann noch zur großen Pilgerkirche neben Cotignac gefahren, um Oscar Maria vorzuführen, der diese Kirche geweiht ist. Auch wenn dieses Gotteshaus bedeutend größer ist, ist es relativ schlicht. Doch auch sie ist darin von bestechender Schönheit. Die gewölbte Decke ist in einem dunklen Königsblau gehalten und vorne über dem Altar, sind an ihr goldene Sterne angebracht. Ansonsten gibt es noch ein paar kleine heiligen Figuren und Gemälden und das war's an Schmuck. Außerdem gefallen mir die örtlichen Kutten der Mönche. Von dem Stoff würde ich mir gerne ein Kleid nähen...

Danach sind wir alle samt zurück - der Mönch kam übrigens auch mit - und haben gegrillt und geschlemmt. Zum Nachtisch gab es zwei sehr leckere Kuchen - Pudding- und Schoko-Mandel-Kuchen - und dazu leckeres Macadamia-Eis. Währenddessen - das Essen hat über drei Stunden angedauert - habe ich darauf aufgepasst, dass die fünf Kinder keinen zu großen Mist bauen und die Küche immer wieder auf's Neue auf Vordermann gebracht. Bei meiner Pause bin ich dann einfach nur noch bäuchlings auf's Bett gefallen und habe fast eine Stunde geschlafen.

Morgen gehen alle auf eine Wanderung. Aber bisher habe ich noch nicht entschieden, ob ich Lust dazu habe die Meute zu begleiten. Die Kinder können schon ganz schön anstrengend sein. Andererseits habe ich auch große Freude daran, eben diese zu fotografieren. Mal sehen wann ich morgen aufwache.

Felsige Stufen und azurblaue Aussicht

Am Freitagabend kam Daniel - ein Larper, mit dem ich schon vorher spielte, den ich aber erst letzten Sommer so wirklich kennenlernte - am Bahnhof in Aix-en-Provence an. Am Samstag sind wir dann auf nach Moustiers-Sainte-Marie, einem typisch südfranzösischem Städtlein mit Touristenattraktion - einer Pilgerkirche am Ende eines gepflasterten Weges und einer weiteren Kirche mitten zwischen den Häusern.

In der Stadt sind überall Touristen, doch gut verteilt, dadurch, dass Nebensaison ist. Zwischen den Touristenläden, die es überall gibt, steht auch die ein oder andere Perle. Ein Laden, ganz in lila - in Anlehnung an den Lavendel - und einer mit wunderschönem Schmuck und Kunstwerken aus Treibgut und Papier. Ich gönne mir sogar ein Eis - trotz des südeuropäischen Preises von 2 € die Kugel - und es lohnt sich. Cassis und Mango strömen in meine Nase und verbreiten sich in meinem Mund.

Maulbeerbäume stehen auf unserem Weg Spalier. Wir finden zwei Torbögen und statten auch den beiden Gebetshäusern einen Besuch ab.

Sie sind hoch, gewölbt, kühl und duster. Wer aus dem Tageslicht in sie eintritt sieht erst einmal überhaupt nichts. Die bunten Fenstern mit den Heiligenbildern sind klein, spenden nur wenig Licht. Alles wirkt mysteriös, ein wenig unheimlich, magisch.

Doch am schönsten ist der Weg, der in felsigen, unregelmäßigen Stufen zu einer Heiligengrotte führt. Hier sind wir alleine. Zu beschwerlich ist der Weg, als dass jemand anderes auch auf die Idee käme ihn zu erklimmen. Die Gegend verströmt ein wunderbares Flair.

Zwei Larper (LiveActionRolePlay = Rollenspiel, vergleichbar mit freiem Improvisationstheater; ein Spieler davon ist ein Larper) unter sich und schon entstehen in unseren Köpfen Gewandungsbilder vor den schroffen Felsen. Bilder in Rüstung à la Paladin oder Jean d'Arc.

Zu unseren Füßen liegt das Städtchen mit seinen rot-orange gedeckten Dächern und dahinter endlose grüne Wälder und Berge, dazwischen liegt der "Parc naturel régional du Verdon", ein azurblauer Fluss, der sich hier zu einem See verbreitert. Die Häuser stehen so dicht, dass es von hier oben so wirkt, als könnte man einfach so von Dach zu Dach springen.

 

Später geht es dann noch an den Verdon selbst, diesmal bin ich auf der anderen Seite des Flusses mit meinem Besuch. Leise plätschert das Wasser und ich schwimme eine Runde. Kein Lüftchen weht und so kleine weiß, schwarze Vögel singen. Sie sehen fast aus wie Rotkehlchen, die aus einem Schwarz-Weiß-Foto geflogen sind. Wir sitzen einfach nur da, ich in der Sonne, Daniel im Schatten und tun ganz einfach nichts. Einfach nur schauen. Die Verwirbelungen auf dem Verdon, die Villa gegenüber, die etwas Abseits neben einem kleinem Städtchen weilt, welches sich dort in den waldigen Hügel einfügt, als würde es dort hin gehören. Wäre dort gewachsen und nicht von Menschen gebaut worden. Die höheren Berge daneben stechen in ihrem felsigen Grau aus dem ganzen Grün hervor und doch sind sie nicht das Hauptaugenmerk, treten in den Hintergrund, da sie am weitesten weg sind. Immer wieder zieht das intensive Azurblau des Flusses die Aufmerksamkeit auf sich. An den Rändern wandelt es sich nach und nach in ein Türkis, welches immer heller wird, bis es am Ufer durchsichtig-weiß vor sich hin schwappt. Weißes Holz bedeckt den Strand, wie alte Knochen, ein junger Nadelbaum mit weißer Rinde und hellen Nadeln steht inmitten eines Halbkreises von älteren, bereits dunklen, großgewachsenen seiner Art. Idyllisch, friedlich ist es hier. Erschöpft, doch irgendwie entspannt kehren wir zurück.

Am Sonntag geht es nach einem Frühstück bereits wieder heim für Daniel und für mich zurück in mein Zimmer inmitten des Weinberges.

Wer kein Ziel hat kommt immer an

Gestern bin ich um die Mittagszeit los mit dem Fahrrad Richtung Cotignac. Ich hatte kein wirkliches Ziel, sondern bin einfach einen der kleinen Feldwege entlang, auf denen sich - vor allem nicht Sonntagmittag - kaum je ein Auto, oder überhaupt ein anderer Mensch verirrt. Weingärten, wogen als maigrünes Meer im Wind und Olivenhaine blinken durch das Wechselspiel ihrer oben dunkelgrünen und unten silbernen Blätter. Überall zirpen Grillen. Teilweise so laut, dass kaum ein Gespräch möglich gewesen wäre, wäre ich nicht sowieso alleine gewesen. Ich genieße die Sonne auf der Haut und den Geruch der in der Luft liegt. Es riecht nach Südfrankreich, nach Staub, Pinienzapfen, Sonne. Es ist heiß und still. Von Ferne tönt ein aufgeregtes Kinderjauchzen. Wohl aus einem Pool in einem Garten. Gelegentlich tschirpt ein Vogel, doch das einzige Geräusch, das nie wirklich ganz abbricht ist das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Blätter und Nadeln im Wind. Weingärten, Olivenhaine, Pinien. Zwischendrin umzäunte Gärten mit sorgfältig angelegten Kieswegen, violett blühenden Kakteen, orange-rot blühenden Bäumen und Holzskulpturen. Ein schwarz-grau-gestreifter Salamander sitzt auf einem Straßenschild und schielt mich an, als ich vorbeifahre.

Irgendwann bin ich dann - fast ausversehen in Cotignac angekommen und dort zu meinem Lieblingscafé, dessen Außenbereich im Schatten eines Holunderbaumes liegt. Viele sind schon dort, doch finde ich noch ein kleines Tischchen für mich. Aus der Ferne dringt das Plätschern des Brunnen zu mir hinüber und ich lausche den Gesprächen um mich her. Französisch, Englisch und Niederländisch klingt es da um mich herum. Irène, die Frau meiner Französischlehrerin sitzt hinter mir, zusammen mit einer ihrer US-amerikanischen Freundinnen, doch sie erkennt mich nicht. Ich lasse die beiden in Ruhe. Erfreue mich einfach an ihrem gelegentlichen Lachen, genieße mein Stück Schokoladenkuchen und mein Buch. Kurz bevor sie gehen winke ich ihr aber dann doch noch zu. Nach zwei, drei Worten ziehen die beiden Richtung Schwimmbad davon, oder zurück ins Haus und in den Pool. Beides ist "Piscine"... Ich bleibe indes noch, trinke einen frisch gepressten Pampelmusensaft und beobachte einen jungen, männlichen Nashornkäfer, der erfolglos, jedoch sehr ausdauernd versucht eine Gedenksäule hochzuklettern. Später setze ich ihn neben einen der zahlreichen Bäume auf dem Platz - da hat er dann auch eine Chance und wird vielleicht auch nicht vom nächsten Hund gefressen. Ich mag diese großen, braunen, schillernden Käfer mit ihrem namensgebenden Horn vorne und ihren stachligen Beinchen.

Auf dem Rückweg geht es die meiste Zeit bergab. Trotzdem brauche ich genauso lange wie für den Hinweg, da ich diesmal einen etwas längeren Weg wähle. Inzwischen sind wieder mehr Leute unterwegs. Die größte Hitze lässt langsam nach. Alles erwacht aus seiner mittäglichen Dämmerung und ersehnt die kommende Kühle des Abends. Doch noch ist es nicht soweit. Mein Kleid klebt mir am Rücken, als ich fast schon nass wieder im Weingut ankomme. Ich lasse das kühle Wasser aus meiner Dusche auf meinen Körper plätschern. Meine Haut kribbelt, mein Herz klopft noch etwas schneller als im Ruhepuls, doch mein Atem ist tief und gleichmäßig. In mir ist es ruhig, friedlich. Nebenan streiten Marie-Caroline und Castille. Ich lege mich noch feucht auf mein Bett und schließe die Augen. Fliege ein wenig davon, bevor ich mir  mein Essen erwärme. Grüne Paprika, Auberginen, gelbe Zucchinie mit Zwiebeln und Knoblauch in der Pfanne gebraten. Dazu frische Tomaten mit Pfeffer und Salz. Die anderen sind inzwischen vor meiner Balkontüre in dem extra großen Planschbecken. So ein knietiefes, blaues Ungetüm, das zum Schwimmen allerdings zu klein ist. Das Wasser in dem Ding hat inzwischen um die 30 °C und zieht allerlei Wespen und Mücken an. Langsam dämmert es. Durch mein Fenster fällt pfirsichfarbenes Licht an meine Zimmerdecke. Die Kinder werden ins Bett gebracht, Netflix angeschaltet. Hört sich nach einem Actionfilm an. Von draußen wehen die Stimmen eines Festes vor dem gegenüberliegendem Haus hinüber. Die weiche Decke unter mir lädt mich zum Träumen ein.